|
|
Zeichen an der Wand

Die Ranihn war gerade in eine stabile Umlaufbahn um den 3. Planeten
des Systems gesteuert worden, in ihrem großem Bauch begann ein
heftiges Treiben. Alles war Routine, die Sensoren der Ranihn tasteten
die Oberfläche des Planeten ab, um sie mit den kartographischen Daten
der letzten Vermessung zu vergleichen, nach Leben zu suchen und was
man sonst so alles macht, wenn man einen extrasystemischen Planten
besucht. Die letzten Daten waren ziemlich alt. Als damals die Rimbold
IV diesen Planten besucht hatte, hatte man eine aufkeimende
Zivilisation Pseudohumanoider gefunden und beschlossen, ihre
Entwicklung nicht zu stören. Jetzt -- fünfzig Jahre später -- war die
Ranihn gekommen um zu sehen, was sich inzwischen getan hatte. Das
Wissenschaftlerteam an Bord sollten einen neuen Status erheben und
dann würde erneut darüber entschieden werden, ob man Kontakt aufnimmt.
Einen Tag später herrschte Hektik an Bord. Die Erfassung der Daten
war zu einem Viertel abgeschlossen, die kartographischen Daten hatten
sich, wie erwartet, kaum geändert, so daß der Vergleich von räumlich
zugeordneten Meßwerten problemlos möglich war. Auch die anderen
Meßdaten stimmten quasi überein, auf dem Planeten hatte sich praktisch
nichts geändert, bis auf einen Punkt -- die intelligenten
Pseudohumanoide waren verschwunden oder zumindest wurden sie von den
Sensoren nicht erfaßt, die Städte, Siedlungen und Straßen existierten
aber. Der Krisenstab, der aus Wissenschaftlern bestand, beschloß
zuerst das Sensorenscanning abzuwarten und falls sich dann immer noch
keine Spur der Bewohner gefunden hätte, sich erneut zu treffen.
Als der Krisenstab sich das nächste Mal traf, war die Stimmung
gedrückt. Das Sensorenscanning war abgeschlossen und auf der ganzen
Planetenoberfläche hatte sich keine Spur der Pseudohumanoide gefunden.
Nach langer Diskussion, ob es mit dem Auftrag der Ranihn vereinbar
war, beschloß man eine Sonde in die größte Stadt zu schicken. Sie
dürfte etwa 5000 Bewohner gehabt haben. Man wählte eine Standardsonde
der Ranihn, weil sich ihr Verlust verschmerzen ließ und man sie nicht
für allzu auffällig hielt. Die Standardsonden waren kopfgroße
Keramikkugeln, die sich gegen eine Beschleunigung von bis zu 25m/s²
frei im Raum bewegen konnten und mit allen üblichen Sensoren
ausgerüstet waren. Nach wenigen Minuten Flugzeit erreichte die Sonde
die Planetenoberfläche in einem unbebautem Gebiet in der Nähe der
Stadt. Die Videobilder der Sonde zeigten ein leicht hügeliges, dicht
bewachsenes Flußtal, über das sich ein wolkiger rötlicher Himmel
spannte, alle Meßwerte lagen in einem für kohlenstoffbasierte
Lebewesen erträglichen Bereich. Die Wissenschaftler steuerten die
Sonde langsam den Fluß entlang auf die Stadt zu. Dann kamen die ersten
Gebäude in Sicht. Die halbkugelförmigen Bauten waren teilweise von
Pflanzen überwuchert und von ihren Bewohnern war nichts zu sehen. Die
Wissenschaftler beschlossen die Sonde in eines der Gebäude zu lenken
und steuerten sie durch ein offenes Fenster. Innerhalb des Gebäudes
bot sich ein ähnliches Bild. Die Pflanzenwelt hatte teilweise vom
Innenraum Besitz ergriffen. Die Räume waren offenbar eingerichtet,
eine Vielzahl von großen und kleinen Gegenständen, die offensichtlich
nicht natürlichen Ursprungs waren, standen herum. Soweit man das bei
einer unbekannten Kultur überhaupt beurteilen kann, war das Haus weder
aufgegeben noch fluchtartig verlassen worden. Den Rest des Tages
verbrachten die Wissenschaftler damit, mit der Sonde durch mehrere
Städte zu streifen. Überall bot sich ihnen das gleiche Bild:
verlassene Gebäude verschiedenster Bauart, die sich die Natur
teilweise zurückerobert hatte, vollständig eingerichtet, und von den
Pseudohumanoiden keine Spur. Das einzig Auffällige waren kleine
rotbraune Zeichen, die sich in vielen Gebäuden fanden. Zwei oder drei
Striche, von denen oftmals einer der äußeren unterbrochen war. Es war,
als ob die ganze Population in kürzester Zeit hinweggefegt worden war.
Da offensichtlich keine Kultur mehr vorhanden war, deren
Entwicklung man stören konnte, beschloß man, ein Wissenschaftlerteam
auf die Oberfläche zu schicken, um das Verschwinden der
Pseudohumanoide zu untersuchen. Das Team unter Führung von
Dr. Lehnhard landete in einer kleinen Fähre auf einem Platz in der
Mitte der Stadt. Nachdem das automatische System die Atmosphäre, wie
prognostiziert, als atembar eingestuft hatte, stiegen die
Wissenschaftler aus. Abgesehen von dem leisen Geräusch, das der Wind
erzeugte, der sanft durch die Straßenzüge strich, war es gespenstisch
ruhig. Nach kurzer Beratung beschloß man eines der großen Gebäude zu
untersuchen. Die Bewohner waren etwas kleiner gewesen als Menschen und
so mußten sich die Teammitglieder in den Türen bücken um sich nicht
den Kopf zu stoßen. Das Gebäude war vermutlich eine Art Wohnblock
gewesen. Die einzelnen Wohnungen hatten keine Türen, wie in alle
Gebäude hier, und so fiel es dem Team nicht schwer, die Wohnungen zu
untersuchen. Ihnen bot sich das gleiche Bild, wie sie es von den
Videos der Sonde bereits kannten. Vollständig eingerichtete Wohnungen,
keine Spur von den Pseudohumanoiden und immer wieder diese braunen
Zeichen in verschiedenen Variationen. Als es zu dämmern begann und das
Licht immer roter wurde, beschlossen sie die Arbeit bis zum nächsten
Morgen einzustellen.
Am nächsten Morgen fühlten sich zwei der vier Teammitglieder nicht
besonders gut, aber das Team setzte seine Arbeit fort, ohne
nennenswerte Fortschritte zu machen. Barbara, die Assistentin von
Dr. Lehnhard, hatte die Farbe eines der Zeichen von der Wand gelöst
und mit einer Transportsonde zur Analyse zur Ranihn geschickt. Die
Laborbefunde besagten, daß die rotbraune Farbe von Eisen-II-Oxyd
herrührte und durch Proteinketten gebunden war. Einfacher gesagt:
keine chemische hergestellte, sondern eine Naturfarbe.
Als die Sonne wieder aufging, fühlten sich alle Mitglieder des
Teams mehr oder weniger schlecht. Kopfschmerzen und Hautausschlag
ließen die Arbeit an diesem Tag fast vollständig ruhen. Um eine
Verseuchung der Ranihn zu vermeiden, sollte das Team wenn möglich auf
dem Planeten bleiben, nur im Notfall würde man eine Quarantänestation
auf der Ranihn einrichten und so saß das Team am Nachmittag in der
Fähre zusammen und versuchte die Zeit totzuschlagen. Die Kopfschmerzen
hatte man erfolgreich mit Analgetika bekämpft. Die Hautausschläge
waren unangenehm, weil sich in den Handinnenflächen und den
Innenseiten der Arme Blasen gebildet hatten. Am ärgerlichsten waren
die Blasen in der Handinnenfläche. Bei Barbara war der Ausschlag am
weitesten fortgeschritten. Die Blase in ihrer rechten Hand war so
groß, daß die Haut spannte und sie ihre Hände halbgeschlossen hielt,
weil es so am wenigsten weh tat. Während sie an dem kleinen Tisch der
Fähre hockten und über die Zeichen spekulierten um sich abzulenken,
platzte plötzlich die Blase in Barbaras Hand. Der Inhalt, ein Gemisch
aus Blut und Eiter, spritzte durch ihre Finger an die Wand -- drei
Striche, der rechte war durch den Daumen unterbrochen worden.
Alle Rechte vorbehalten.
|