IMAGINARY

3D-Skulpturen Algebraischer Flächen für die Wanderausstellung des MFO

Ein Presseartikel über von Prof. Dr. Herwig Hauser in Szene gesetzte Bilder Algebraischer Flächen und die eigene Beschäftigung mit dem Thema "Datenaufbereitung für 3D-Drucker" inspirierte einige Mitarbeiter von FORWISS dazu, eine kleine Brücke zwischen beiden Gebieten Algebraische Flächen und Digitaler Modellbau zu schlagen. Ziel war es, solche Flächen ausgedruckt als Skulptur in der Hand halten zu können. Ein Vorhaben, das sich eher als Recreational Mathematics and Engineering bezeichnen ließe denn als innovative Forschung. Doch ist es manchmal auch erfreulich und damit wichtig, einfach die Schönheit von Mathematik selbst zu genießen und sie möglichst auch für andere wahrnehmbar zu machen.

Mit ersten Modellen im Gepäck wurde FORWISS vom MFO eingeladen, sich als Aussteller an der Wanderausstellung zum Jahr der Mathematik zu beteiligen. Zu einer Auswahl von zwölf Algebraischen Flächen (Zwei Bildergalerien: 'bunt gedruckt' (als HTML) und 'bunt bemalt' (als HTML) ) wurden von den FORWISS-Mitarbeitern in 3D-druckbare CAD-Daten berechnet. Die beiden Partnerfirmen Alphaform AG in Feldkirchen und Voxeljet Technology GmbH in Augsburg druckten diese Datensätze nicht nur aus, sondern erklärten sich erfreulicherweise bereit, die 3D-Skulpturen für die Ausstellung kostenlos zur Verfügung zu stellen. Über 100'000 Besucher von IMAGINARY erhielten so die Gelegenheit, die mit den Techniken 3D-Kunststoffdruck bzw. Stereolithographie gefertigen Modelle sowie entsprechende Erklärungstafeln zu den angewendeten Methoden zu betrachten.

Als letzte Station der Ausstellung im Jahr der Mathematik erreichte IMAGINARY schließlich durch das Engagement von Prof. Dr. Martin Kreuzer das ITZ-Gebäude der Universität Passau, in dem auch das Institut FORWISS untergebracht ist. Wenige Meter von ihrem Entstehungsort als zunächst virtuelle Daten in einer Vitrine aufgestellt, kamen die Skulpturen somit "nach Hause". -- Und ein Teil von Ihnen bleibt hier auch. FORWISS und der Lehrstuhl für Symbolic Computation haben im Fakultätsgebäude für Mathematik und Informatik eine Dauerausstellung mit derzeit zwölf Skulpturen und weiteren interessanten Exponaten (sog. Gleichdicks) eingerichtet.

Imaginary in Passau
IMAGINARY in Passau Quelle: MFO
Calypso als 3D-Kunststoffdruck

Nachfolgend ein kleiner Zugang zu diesem Teil der Ausstellung IMAGINARY, der bewußt nicht im Stil einer sachlichen bzw. wissenschaftlichen Projektbeschreibung gehalten ist.

-- Das versteht doch kein Mensch! --

Jede Algebraische Fläche hat einen sehr einfachen mathematischen Bauplan. Mit einer winzigen Formel wie z.B. 6x^2 - 2x^4 = y^2z^2 (Helix) sind all ihre Wölbungen und Spitzen vollständig beschrieben. Während dieser schlichte Bauplan auch für alle mathematischen Betrachtungen genügt, ist er in dieser Form dem Menschen nicht greifbar. Man kann daraus nichts sehen oder gar in die Hand nehmen!

Allenfalls ein Mathematiker mit guten Kenntnissen in Algebraischer Geometrie kann bereits anhand dieser Polynomialen Gleichung erkennen, dass sich hier zwei liegende Achten, sog. "Lemniskaten" durchdringen. Und er oder sie wird auch sehen können, daß an allen Punkten der y- und z-Achse etwas Interessantes bzw. weil Katastrophales geschieht.

Diese wissenschaftliche Betrachtung stellt zwar ein wesentliches Fundament von IMAGINARY dar, doch steht dieser Gedanke nicht im Vordergrund. IMAGINARY und die Menschen hinter der Ausstellung, Künstler und Guides, möchten jedem einen eigenen Blick ermöglichen, ohne daß er dafür Mathematik können muß. Viele Studenten, darunter auch angehende LehrerInnen für das Schulfach Mathematik hatten als Guides die Möglichkeit, die Ausstellung einzelnen Schülern und ganzen Schulklassen zu zeigen. Und, was im Schulunterricht wohl nur selten klappt, sie konnten dabei so manchen zunächst verschlossenen und skeptischen Besucher erreichen, Barrieren durchbrechen und im Positiven ansprechen. In so manche Schule ist sicherlich ein Begeisterungsfunke durch Schüler, jetzige und zukünftige Lehrer nachhaltig übertragen worden, hat damit einige Studenten von Morgen erreicht und konnte den einen oder anderen inspirieren.

IMAGINARY ist ein gelungener Weg, um dem weit verbreiteten Vorurteil "Ich hasse Mathematik!" zu begegnen und es auf schöne Weise als Irrtum zu entlarven.

Algebraische Fläche Helix
Algebraische Fläche "Helix"
-- Ich will nicht rechnen, ich will fühlen! --

Wir erleben unsere Welt durch unsere Sinne. Mit dem Auge, mit den Händen. Längst sind Computer Werkzeuge geworden, aus Berechnungen Bilder zu erschaffen, die unsere Vorstellungskraft unterstützen. Inzwischen ist es zudem möglich, am Computer dreidimensonale Formen zu entwerfen (CAD) und aus diesen Entwürfen per 3D-Drucker direkt Werkstücke anzufertigen. 3D-Drucker bauen ihre Modelle aus tausenden feiner Schichten auf durch Eintragen von Klebstoff in ein Pulverbett. Sie können so beinah beliebige Formen realisieren, sichtbar und -- fühlbar machen.

Ein Oktaederstern zum Anfassen
Ein Oktaederstern als 3D-Kunststoffdruck
-- Dem ganzen fehlt die Substanz! --

Beinah! Die Herstellung einer Algebraischen Fläche 1:1 als Skulptur ist nämlich vornherein unmöglich! Jedes noch so winzige Sandkorn an verbautem Material wäre bereits zu viel. Die Natur einer Algebraischen Fläche ist nämlich, dünner als eine Seifenblase, sogar unendlich dünn zu sein! Keine Substanz, nur Fläche!

Eine Kreisscheibe hat keine Dicke!
Eine Kreisscheibe hat keine Dicke
-- Von Billardkugeln und Nepal-Hüten --

Füllt man die hauchdünne Sphäre, quasi eine mathematische Seifenblase, in ihrem Inneren mit Material auf, so wird sie zur Kugel, massiv, und läßt sich sehr wohl herstellen. Manche Algebraische Flächen passen, genau wie die Sphäre, in Schranken und schließen ein Inneres ein. Dieses Innere kann als massiver Gegenstand gebaut werden, dessen Oberfläche dann genau die gewünschte Algebraische Fläche ist. Zumindest so genau, wie der Drucker und das verwendete Material es erlauben. So entstanden Dullo, Nepali und Distel als Skulpturen.

CAD-Ansichten Nepali
CAD-Vorschauen der Fläche "Nepali"
-- Eiskugeln aus der Unendlichkeit --

Viele Algebraische Flächen wie Vis-A-Vis oder Helix dehnen sich über alle Schranken bis ins Unendliche aus. In ihrer Gesamtheit passen sie in keine Vitrine! Doch ebensowenig paßt ein ganzer Bottich Fruchteis in die Waffeltüte. Dabei ist die Lösung dieselbe: Man schneidet eine Kugel aus dem (unendlich) großen Bottich heraus und erhält eine gut handhabbare Portion des Ganzen. Doch wie sieht dessen Inneres aus? Bei den hier gezeigten Skulpturen wurde die eigentliche Fläche "nach innen hin" (im Urbild negativer Zahlen) verstärkt, aufgeblasen. Die unendlich dünne Algebraische Fläche wird endlich Mathematik zum Anfassen. Greifbar als ein Teil der Oberfläche einer gewölbten, dünnen Wand.

unendliche Fläche Vis-A-Vis
unendliche Fläche "Vis-A-Vis"
-- Mathematik zum Anfassen --

Diese Skulpturen entstanden nach den Algebraischen Bauplänen von Prof. Herwig Hauser von der Universität Wien. 3D-Drucker verstehen als Bauplan allerdings keine Algebraischen Gleichungen, sondern benötigen CAD-Daten. Die dazu notwendige Übersetzung wurde von Mitarbeitern des Instituts FORWISS der Universität Passau vorgenommen. Hier ensteht seit Jahren im Rahmen von Forschungsprojekten aber auch unter studentischer Mithilfe vom Hiwi bis zum Diplomanden eine Software zur Steuerung von 3D-Druckern und zur Aufbereitung entsprechender CAD-Daten -- und gemeinsam mit Prof. Hauser entstand hier die Idee, die Bilder der Ausstellung IMAGINARY um Skulpturen zu bereichern.

Die Universität Passau dankt den Firmen Voxeljet Technology GmbH, Augsburg und Alphaform AG, Feldkirchen für ihre großzügigen Spenden in Form der hier "in ihrer Heimat" dauerhaft ausgestellten 3D-Ausdrucke!

Helix als Skulptur
Helix als fertige Skulptur
-- Eine Idee gibt die nächste! --

Die nächste Herausforderung kam in dem Moment, als die Ausstellung eröffnete! Bei der offiziellen Startveranstaltung des Jahres der Mathematik in Berlin regte Herr Dr. Christof Weber aus der Schweiz an, neben Algebraischen Flächen auch sog. "Gleichdicks" als Skultpur in die Ausstellung zu integrieren.

Gleichdicks sind Körper konstanter Weite. Im zweidimensionalen Fall ist wohl der Kreis das bekannteste aller Gleichdicks. In eine Messlehre eingespannt hat die Figur in jeder Richtung gleiche Weite. Doch der Kreis ist bei weitem nicht das einzige Gleichdick in 2D! Mit dem Reuleaux-Dreieck (Schnitt dreier Kreise mit Radius a, angetragen in den Ecken eines gleichseitigen Dreiecks mit Kantenlänge a) ist sogar eine gleichdicke Fläche bekannt, die im Wankelmotor eine technische Anwendung findet.

Die Erweiterung des Reuleaux-Dreiecks auf den dreidimensionalen Raum, der sog. Reuleaux-Tetraeder (Schnitt von vier Kugeln mit Radius a, jede zentriert in einer Ecke eines Tetraeders mit Kantenlänge a), ist dagegen kein Gleichdick! Allerdings haben die beiden Mathematiker Meißner und Schiller 1912 eine Modifikation dieser "runden Pyramide" entwickelt, die gleichdick ist. Im Jahr der Mathematik 2008 konnten in Passau zahlreiche Schüler und Besucher von IMAGINARY -vielleicht erstmalig seit ihrer Entdeckung 1912- mit eigenen Händen erfühlen und staunen, daß neben Kugeln und Zylindern auch die Meißner'schen Körper unter einem Brett ein ebenes Abrollen erlauben. Bei FORWISS wurden dazu hochgenaue Triangulierungen berechnet die bei Voxeljet mit 100 µm Genauigkeit als Modelle für den selbst erlebten Versuch digital gefertigt wurden.

Meißner'sche Körper als Rollen
Meißner'sche Körper dienen als "Rollen"
-- Minisymposium bei der DMV-Tagung --

Die Aussteller von IMAGINARY gaben im September 2008 im Rahmen eines Minisymposiums der DMV-Tagung in Erlangen einen Einblick in ihre jeweiligen Arbeiten. Einem interessierten Publikum wurde dabei gezeigt, wie all die Ornamente, Algebraischen Flächen, Skulpturen und virtuelle Welten entstehen und berechnet werden können.

Auch hier beteiligte sich FORWISS auf Einladung des MFO mit zwei kurzen Vorträgen und einer kleinen Ausstellung verschiedener mittels Rapid-Prototyping erstellter 3D-Skulpturen.

Die beiden Präsentationen zu den Vorträgen über die Erstellung Algebraischer Flächen als 3D-Skulpturen und über die Konstruktion und Triangulierung Meißner'scher Körper sind hier auch als PDF verfügbar.

Während der IMAGINARY-Ausstellung in Passau wurden am 18. Dezember 2008 auf Einladung von Prof. Dr. Kreuzer hin diese beiden Vorträge sowie eine kleine Live-Demonstration der Gleichdicks für das Rahmenprogramm des NOCAS-Seminar wiederholt.

Minisymposium: Imaginary
Minisymposium IMAGINARY Quelle: MFO
-- Spiel und Mathematik -- so weit kommt's noch! --

Am Ausstellungsort Passau wurde bei IMAGINARY erstmals ein neuer, von Beginn an per Hand mit buntem Epoxidharz eingefärbter Satz Algebraischer Skulpturen (Galerie als HTML) gezeigt. Das Spiel der Farben erhöht den Reiz der Formen, subjektiv..., und rundet das Bild weiter ab. Daher wurde die zunächst in grau hergestellte Hälfte der Passauer Skulpturen inzwischen nachträglich mit Acrylfarbe bunt lackiert. (Galerie als HTML)

Eine zweite exklusive Besonderheit der Ausstellungsstation Passau war eine kleine und auch bei großen Schülern der Kollegstufe überraschend beliebte "Spielstation". Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Herwig Hauser für die Verwendung seiner Bilder und seines Designs fertigten Mitarbeiter von FORWISS und Lehrstuhl von Prof. Kreuzer in viel Handarbeit Repliken seines 96-teiligen Algebraischen Memory an.

Nicht nur hier, sondern auch an verschiedenen interaktiven Stationen für das eigene Gestalten und Visualisieren von Mathematischen Objekten konnten große und kleine Besucher ihren Spieltrieb nach Herzenslust ausleben.

Am schwierigsten daran war für viele: das Aufhören!

Algebraisches Memory, Design by Herwig Hauser
Algebraisches Memory, Design by Herwig Hauser
-- The Road Goes Ever On And On... --

IMAGINARY ist (noch lange nicht) zu Ende. Prof. Hauser und sein Team arbeiten weiterhin informell mit FORWISS zusammen. Das neue Ziel lautet, alle dreidimensionalen Platonischen Sterne als 3D-Skulptur herzustellen. Ein Platonischer Stern ist dabei eine Algebraische Fläche mit der Eigenschaften, die volle Symmetrie eines Platonischen Körpers zu besitzen und an jedem der zu den Ecken des Platonischen Körpers korrespondierenden Punkte eine "A2-Singularität" (lokales Aussehen wie z.B. bei a(x^2 + y^2) + b z^3 ) aufzuweisen. Zu einem Oktaeder mit seinen acht Flächen und sechs Ecken gehört also eine sternförmige Fläche mit sechs singulären Spitzen. Es ist vergleichsweise einfach, eine solche Fläche durch verschiedene Überlegungen "global" zu konstruieren. Doch gilt das so nicht für andere Platonische Körper. Beim analogen Versuch einer "globalen" Konstruktion mit 4, 6 oder gar 10 Achsen für Hexaeder-, Ikosaeder- und Dodekaeder Stern werden die Flächen bei wachsendem Grad (8, 12 oder gar 20) schwer zu handhaben. Durch den hohen Polynomgrad verlieren die Spitzen auch, subjektiv, an Ästhetik. Für diese global konstruierten Polynome mittels blindem "Ertasten" "schöne" Parameter zur Kontrolle von "Bauch" und "Spitzen" zu finden ist dann sehr schwierig; die messerscharfen Spitzen dann korrekt und ohne Brüche auszudrucken liegt am Grat des derzeit materialtechnisch Machbaren.

Dodekaederstern als Skulptur
Dodekaederstern als Skulptur
-- ... Galaxia Platonica ... --

Prof. Dr. Herwig Hauser und Alexandra Fritz, eine Studentin aus Wien, haben inzwischen ein mathematisches Verfahren entwickelt, das es gestattet, alle Platonischen Sterne "lokal", von der Spitze her und genau wie eine Ornament-Zeichnung einem Korsett aus Symmetrie gehorchend, zu konstruieren. Bei FORWISS wurde wiederum der Brückenschlag gesetzt, zu jeder dieser Algebraischen Flächen, ihr Polynom hat jeweils (nur aber immerhin!) Grad 6, eine Triangulation zu bestimmen. Die Grundidee dabei ist, daß zwischem jeden Oberflächenpunkt einer Sphäre (Kugelfläche) und dem Zentrum dieser Sphäre genau ein Punkt der Sternfläche liegen muß. Somit ist es nun möglich, jeden Platonischen Stern hochgenau als 3D-Skulptur zu drucken. Die Skulptur "Dodecahedral Star" weist 20 isolierte Singularitäten vom Typ A2 auf. Da die zu Grunde liegene Sternfigur dieselben Symmetrien wie der Dodekaeder besitzt, kann jede der 20 Spitzen durch eine einfache Drehung und oder Spiegelung in jede der anderen Spitzen überführt werden, oder aber in bestimmten Winkeln um die eigene Achse gedreht werden, ohne das Aussehen der Figur auch nur im Geringsten zu verändern.

***** -- Inzwischen zeichnen sich die Vitrinen von FORWISS durch nicht weniger als fünf Sterne aus! Mehr als diese fünf Sterne kann es nicht geben, denn bekanntlich gibt es im dreidimensionalen Raum nur fünf verschiedene Platonische Körper. Damit verfügt dank der freundlichen Mithilfe der Universität Wien sozusagen über die komplette 'Platonische Galaxis'! All diese Sternskulpturen wurden von Voxeljet Technology in 3D gedruckt. Ihre Färbung entspricht einen Rundgang auf dem bunten Farbkreis mit fünf Stationen.

Vieles ist gemeinsam erreicht, und die Straße geht weiter...

Die 'Platonische Galaxis'
Die 'Platonische Galaxis'
von links: Dodekaeder-, Oktaeder-, Tetraeder-, Hexaeder- und Ikosaederstern
Die Glasvitrine im Besprechungsraum von FORWISS

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Projektpartner